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Die feinen Unterschiede

Die Vorarlberger genießen das Privileg einer luxuriösen geografischen Mittellage mit guten Beziehungen in alle Himmelsrichtungen. Das ist insofern interessant, als sich von hier aus spontane Tagesausflüge nach Zürich, München oder Stuttgart, ja sogar nach Mailand durchaus lohnen.

Die feinen Unterschiede
© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz

Und steckt man den Zirkel bei Bregenz in die Karte, dann befinden sich innerhalb eines Radius’ von 50 Kilometern immer noch die liechtensteinische Landeshauptstadt Vaduz, die geschichtsträchtige Hauptstadt des Kantons St.Gallen sowie einige wohlklingende deutsche Kreisstädte, eine von ihnen, nämlich Lindau, gleich in Sichtweite über dem See, von wo aus sie besonders nachts, mit ihrer imposant beleuchteten Hafenseite, einiges an Aufmerksamkeit von Bregenz abzieht. Aber das stört die Bregenzer nicht. Im Gegenteil. Allen Gästen werden Besuche der Städte in den Nachbarländern wärmstens ans Herz gelegt.

© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz

Eine Autofahrt ins Fürstentum dauert in der Regel eine Dreiviertelstunde, die etwa gleiche Zeit braucht man mit dem Zug nach St.Gallen, und mit dem Bodensee-Kursschiff ist man in etwas mehr als zwanzig Minuten in Lindau und bekommt die Möglichkeit, sich die Bregenzer Skyline von drüben anzuschauen. Wer das tut, kann sich, wenn er möchte, vergegenwärtigen, dass die frühere Lindauer Hafenmole im Jahr 1812 aus den Steinen der Kirche des Bregenzer Klosters Mehrerau gebaut worden ist. Eine Nebenwirkung der napoleonisch-bayrischen Feldzüge, als das Material, aus dem Sakralbauten errichtet waren, allgemein billig zu haben war. Außerdem gehörte Bregenz damals gerade zu Bayern. Aber das ist Geschichte. Und die Geschichte wird immer wieder neu geschrieben beziehungsweise neu interpretiert. Besonders die von Grenzen.

 

Heute sind die Grenzen hier kaum noch spürbar. Zumindest nicht im Sinn von Kontrolle oder gar von Abschottung. Und dennoch gibt es sie, nicht als etwas Trennendes, sondern als etwas, das die unterschiedlichen Arten erkennbar macht, in denen etwas an sich Gleiches in Erscheinung treten kann.

 

Die mundartlichen Färbungen der Sprache zum Beispiel, die gleich über der Grenze beginnen, ihren Charakter ins Schwäbische oder ins Schweizerische zu verändern. Auch die in ihrer Aussage eindeutigen Zeichen, mit denen der Straßenverkehr geregelt wird, lassen sich bei näherer Betrachtung erstaunlich vielfältig interpretieren.

© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz

Erkennen Sie, ohne auf die Produkte zu achten, welches Regal in einem Schweizer, deutschen beziehungsweise österreichischen Supermarkt steht?

© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz
© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz

Es ist zwar hier nicht zu beweisen, aber auch der Geschmack von Joghurt oder Brot ist hier ein bisschen anders als dort. Das hat wohl etwas mit den Erwartungen und Vorlieben der Konsumenten zu tun, die unter dem langfristigen Einfluss unterschiedlicher kultureller Prägungen entstanden sind.

 

In den Süßwarenabteilungen haben sich diese Prägungen sogar zu Marken entwickelt, die fast schon als nationale Länderkennungen gelten können. An der schweizerisch-österreichischen Grenze hört sozusagen das von Wien geprägte Mannerschnittenland auf, weil hier das Tobleroneland beginnt, oder auf der deutschen Seite das Land der Haribo Goldbären. Auch Thomas Bernhard und Peter Handke halten hier kurz inne, weil sie ins Hoheitsgebiet von Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch wechseln; oder an der deutschen Grenze eben in das von Martin Walser.

© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz

Unterschiede, auf die wohl kaum jemand verzichten möchte.

© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz
© Gerhard Klocker // Kongresskultur Bregenz

Natürlich fordern die Vertreter der Märkte gern absolute Durchlässigkeit und einheitliche Normen. Das ist sicher gut fürs globale Geschäft. Wer allerdings hierher, in eine multiple Grenzregion wie Vorarlberg kommt, sollte die Gelegenheit nützen, einige dieser Linien zu überqueren und dabei dem jeweils Eigentümlichen in den anderen Ländern nachzuspüren. Das erweitert den persönlichen Erfahrungsschatz.

(wm)

Die feinen Unterschiede – Bregenz und Umgebung für neugierige Gäste

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Themenheft „Die feinen Unterschiede – Bregenz und Umgebung für neugierige Gäste“. Das gesamte Heft mit mehr Beiträge über die Bodensee-Region können Sie hier digital durchsehen.
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